BG Kritik: „Spider-Man – A New Universe“

17. Dezember 2018, Michael Essmann

Ein unsicherer Teenager wird von einer radioaktiven Spinne gebissen und entwickelt spinnenmäßige Superkräfte. Der Clou, es ist nicht Peter Parker, sondern ein anderer Junge von nebenan mit alliterativem Namen. Und so heißt es auch für Miles Morales: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“

Spider-Man – A New Universe (USA 2018)
Originaltitel: Spider-Man – Into the Spider-Verse
Regisseur: Peter Ramsey, Bob Persichetti, Rodney Rothman
Stimmen im Original: Shameik Moore, Hailee Steinfeld, Mahershala Ali, Jake Johnson, Liev Schreiber, Nicolas Cage

© Sony Pictures

Spider-Man, Spider-Man. Does whatever a spider can…

Ein Spinnenbiss, ein toter Onkel, die bekannte Lehre von Kraft und Verantwortung, wir alle kennen Spider-Man und brauchen nicht zum erneuten Male dessen Ursprungsgeschichte serviert zu bekommen, um als Zuschauer durchzublicken. Das war im letzten Jahr auch dem MCU-Team um Kevin Feige klar, als sie uns mit Spider-Man: Homecoming einen Film ohne diese eh bekannten Infos servierten. Aber das ist nicht dieser Spider-Man. Nur zur nochmaligen Verdeutlichung. Und auch nicht der Spider-Man aus den Filmen von Sam Raimi oder der Amazing Spider-Man Reihe. Aber wie Peter Parker ist auch Miles Morales ist ein typischer Jedermann von Teenager. Zwar äußerst intelligent und kreativ, dabei aber auch unsicher in jeglichem Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht, was seine Zukunft angeht, seine eigene Identität und Berufung suchend… findet letztgenannte eines nachts ihn. Denn beim nächtlichen sprayen schlägt das Schicksal zu, er wird gebissen und er wird zum neuen Spider-Man. Zumindest von den Kräften. Denn in das Kostüm und die Rolle muss er erst noch hineinwachsen. Aber er ist nicht allein. Nicht lange.

Im Comic zuerst im sogenannten Ultimate Universum als Parkers Nachfolger nach dessen Tod eingeführt, aber zwischenzeitlich im normalen Comic-Universum an der Seite von Parker beheimatet, schwingt Miles Morales erstmalig als Spider-Man ins Kino. Neue Spinne, neues Universum. Oder eigentlich neue Spinne, alte Spinne, alternative Spinne, weibliche Spinne… viele Universen. Denn der im Original mit Spider-Man: Into the Spider-Verse klarer betitelte Animationsfilm präsentiert nicht wie üblich einen, sondern eine ganze Bande an Leuten mit Spinnenkräften. Angesaugt und durch ein Dimensionsportal katapultiert, landen durch einen Zufall, Fehler in der Kalkulation… oder auch das Schicksal, hier mehrerer Helden mit Netz und Spinnensinn im Universum des Spider-Neulings Miles Morales. Ein durch ein interdimensionales Netz verwobener Verbund von Netzschwingern, der sich in 110 Minuten daran macht, die Welt(en) zu retten, Bösewichte aufzuhalten und das Kino zu erobern. Der Startschuss für das animierte Spider-Multiversum von Sony.

Genau, Sony und nicht Marvel Studios. Immer noch nicht zu verwechseln. Aber auch wenn mit Avi Arad und Amy Pascal dieselben Produzenten zuletzt Venom eher verbockt denn gerockt haben, man, die Spider-Männer und Frauen rocken echt verdammt ordentlich. Nach einer Idee und kreativen Ausrichtung von den u.a. The LEGO Movie Regisseuren Phil Lord und Christopher Miller – ja, die bei Solo – A Star Wars Story gegangen wurden – und final umgesetzt von den Regisseuren Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rothman ist A New Universe ein Film, den man so noch nicht gesehen hat. Voller Liebe zum Detail gebaut und angefüllt bis unter die Decke mit Referenzen auf u.a. frühere Spider-Man Abenteuer im Kino, inkl. diesbezüglichen augenzwinkernden Momenten… und Bösewichten, die wir bisher noch nie im Kino bewundern durften – Namen werden wie schon bei den Spider-Helden übrigens völlig absichtlich nicht genannt, da hier in den Trailern durchaus noch was geheim gehalten wurde. Soviel kann aber verraten werden, der Hauptbösewicht ist klasse umgesetzt, sehr Comichaft vom Look, hat Tiefe, eine nachvollziehbare Motivation für sein Handeln und hat dabei einen ganzen Haufen an Gehilfen dabei, die den Spinnen-Helden ihre Lebenslichter ausblasen sollen und für ordentliche Action auf der Leinwand sorgen.

© Sony Pictures

Mit einem 90 Millionen Budget ausgerüstet und losgelöst von, und eben doch verwoben bis in die kleinste Ecke mit gefühlt ALLEN bisherigen Kino-Filmen, Cartoon-Serien, Videospielen, Comics… und vermutlich auch Kinder Lunch-Boxen mit dem Spidey-Konterfei darauf. Und hier ist auch ein Knackpunkt von A New Universe, denn dieser ist ein Nerd-Film sondergleichen geworden. Und das ist als Kompliment gemeint. Ganz klar von Fans, für Fans. Geschaffen um gemeinsam eine tolle Zeit im Kino zu haben. Von der beachtlichen Zahlenwertung am Ende dieser Kritik dürfen nicht Comic- oder Film-Kenner daher also gerne ein knappes Viertel abziehen, nur um im Kino nicht enttäuscht zu werden. Ganz einfach deswegen, weil hier so viele Gags auf Vorwissen rund um Spider-Man abzielen und aufgebaut wurden. Und wenn das fehlt, ja, dann kann schlicht und einfach nicht die volle Gag-Dichte einschlagen wie bei Mrs. und Mr. Comic-Nerd. Und nein, davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Ganz und gar nicht. Auch mir sind längst nicht alle und auch keine aktuellen Hefte bekannt, und ich hatte riesigen Spaß mit Spider-Man: A New Universe. Auch für den Gelegenheitskinogänger und die Gelegenheitskinogängerin ist der animierte Spider-Man also eine Empfehlung! Denn er ist klasse und das nicht nur bei Gags die auf Zitaten aufbauen. Weshalb?

Unter anderem weil A New Universe abseits von einer gewissen typischen Handlungsreise eines frisch gebackenen bzw. frisch gebissenen Helden absolut frisch daherkommt. Nicht nur als der erste völlig animierte Spider-Man im Kino, der somit nie an die Grenzen der Realität und nur die der Kreativität der Filmemacher gebunden ist. Und kreativ war man hier definitiv. In der Inszenierung, nicht der Story, welche wie erwähnt recht vorhersehbar dahin schwingt. Aber in der Optik und Inszenierung. Optisch völlig auf Speed und überdreht und bunt, mit absichtlich gesetzten aber fremdartig wirkenden Unschärfen – die an 3D ohne entsprechende Brille erinnern, aber offenbar gewollt sind – irgendwo zwischen LSD-Trip und Comic-Heft. Ein mit LSD getränkter Comic im Kino. Von einem fast unmerklichen Geräusch wie beim umblättern der Comicseiten im Hintergrund während eines Szenenwechsels, bis hin zu sehr offensichtlichen Textblöcken und Einblendungen während diverser Szenen. Hier herrscht Liebe zum Detail und zur Materie vor. Und das spürt man in jedem Frame von der herrlich selbstironischen Eröffnung, bis zum Abspann, und darüber hinaus. Denn wie üblich und gerne bei Helden im Kino, wartet hier noch eine sehr schöne Szene danach. Aufmerksamen Lesern des Abspannes wird diese allerdings etwas gespoilert. Also vielleicht den Abspann nicht zu genau betrachten und nur auf die Szene danach warten. Unterm Strich der comichafteste Spider-Man seit jeher und ein toller Unterhaltungsfilm für die ganze Familie. Fast. Denn hat man den Kinobesuch mit sehr jungen oder schreckhaften Kindern eingeplant, sei vor einer gewissen Düsternis und ganz bisschen Brutalität (es gibt da einen speziellen Mord im Film, der echt hart (nach)wirkt) gewarnt, die man bei einer FSK 6 vielleicht nicht unbedingt erwarten würde.

Fazit:
Spider-Man: A New Universe ist ein kunterbunter, kreativer, selbstironischer, herrlich überdrehter, von den Fesseln des Realfilms befreiter Action-Spaß mit Herz und Verstand, mit mehr als einem Spider-Man. Wenn es ginge, man möchte am liebsten gleich im Kino sitzen bleiben, um nacheinander und direkt den diversen Spinnen-Helden des Filmes in weiteren Abenteuern zu folgen.

8/10

Autor: Michael Essmann

Ein B-Movie Freund, der seit einigen Jahren in Köln heimisch ist und dort erfolgreich Design studiert hat. Seitdem schiebt er u.a. Pixel hin und her.

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