BG Kritik: „Atomic Blonde“

14. Juli 2017, Christian Mester

Atomic Blonde (US 2017)
Regie: David Leitch
Cast: Charlize Theron, James McAvoy, Toby Jones
Story: 1940: Kurz vor dem Mauerfall (durch David Hasselhoff) wird die britische MI6 Spezialagentin Lorraine Broughton auf einen Mission Impossible 1 artigen Fall angesetzt: sie soll eine gestohlene Liste aller derzeit aktiven Undercoveragenten zurückbeschaffen, bevor diese der Sowjetunion in die Hände fällt…

Sweet Dreams are Made of Charlize.

Was passiert, wenn einer der zwei John Wick Regisseure auf einmal solo geht und alleine arbeitet? Aktuell, Deadpool 2. Aber vorher: Im Worst Case würde sich offenbaren, dass die ver-wicklichten Qualitäten eher der anderen Hälfte zu verdanken waren – glücklicherweise ist dem nicht so. Atomic Blonde, basierend auf dem wenig bekannten Comic The Coldest City von Antony Johnston und Sam Hart, mag dauerhaft keinen so treffenden Eindruck hinterlassen wie Reeves Reißer mit seinen mehreren Teilen, darf in Zukunft aber sicherlich dennoch unweigerlich zu den solidesten Beiträgen des Jahres 2017 gezählt werden.

Charlize Theron, überaus selbstsicher und noch immer bildschön, erscheint hier so abgebrüht und durchgekocht, dass ihre Agentin gar regelmäßig Eiswürfelbäder im Dunkeln nehmen muss, um ihre Hitze im Zaum zu halten. Ladyhafter, leiser und eleganter als ihre armabbe Fury Road Kriegerin Furiosa und weniger sadistisch und selbsterfreuend als ihre Fate of the Furious Figur Cypher, ist ihre abgebrühte grazile Agentin eine äußerst tödliche Partie, flink und beweglich, clever und bestens darauf trainiert, spontan zu agieren.

Verglichen mit den Wicks liegt der Fokus hier weniger auf der Action an sich. Zwar mag der Film damit betrailert worden sein, ähnliche Action wie John Wick (Kritik Teil 1, Kritik Teil 2) zu bieten, doch dem ist eher selten der Fall. Die regelmäßigen Auseinandersetzungen haben alle mächtig Dampf, setzen Therons schmale Figur glaubhaft ein und sind amüsant in Szene gesetzt, wollen aber keine solchen Highlights sein, sparen sich kompliziertere oder denkwürdigere Stunts, Manöver oder Gemenge. Stattdessen gießt sich Atomic Blonde anderen Zement ins Fundament: eine zum dahinträumen sensationelle Mischung aus Spät80er Popmusik und kalter Kalter-Kriegs-Optik.

Die erdrückende Kälte der schwierigen Zeit lastet auf dem grautrüben Berlin, doch es ist der pulsierende Untergrund-Spirit der Musik, der der äußerlich drohenden nuklearen Endzeit trotzt. David Bowie, Nena und Peter Schilling sind in dem Zusammenhang schon eh nahezu obligatorisch (bei egal welchem Film), aber Leitch setzt außerdem noch auf New Order, Public Enemy, Eurythmics, George Michael, Joy Division, The Clash und Depeche Mode, vom John Wick kommen außerdem Marilyn Manson und Kaleida hinzu (die Ministry und Nena covern, obgleich es banane ist, dass ausgerechnet Manson nicht seine Version von Sweet Dreams beisteuern darf). Mansons aktueller Co-Komponist Tyler Bates verschluckt sich indes am gewaltigen Soundtrackangebot und kann keine merklichen Spuren hinterlassen.

Auch storytechnisch versucht Leitch gar nicht erst, auf Überraschungen oder echte Spannung zu setzen. Diverse Wendungen sind früh absehbar und die versammelten Darsteller bekommen kaum was zu tun. McAvoy darf seinen jungenhaften Charme spielen lassen, die neue Mumie Sofia Boutella knipst sich als kurze Bettgeschichte ins Bild, John Goodman und Toby Jones geben gewöhnliche Behördenvertreter ab und der neue Pennywise Bill Skarsgard und Til Schweiger versuchen beide um die Wette, möglichst gar nicht erst aufzufallen. Keiner von ihnen ist auffallend schwach, es fällt allen aber auch schwierig, überhaupt bemerkt zu werden.Damit entfernt sich die atomare Blondine fraglos von internistisch verz-wickteren Kollegen wie Bube, Dame, As, Spion oder dem witzigen Codename UNCLE, und verspielt sich fraglos einige Möglichkeiten auf längerfristige Tiefe. Nie wird der noch immer brodelnde Konflikt zwischen Westen und Osten thematisiert, nie wird die Isolation durch die Grenze aufgegriffen, nie wird die Relevanz für Großbritannien oder die Staaten intoniert. Dennoch lässt Leitch es sich nie zu Grabe tragen, es versucht, aber nicht gekonnt zu haben. Die nuklear Platinblonde hat keine Geduld für einen Smiley und rast in geerderter Kurzweiligkeit davon.
Fazit:

Mag man die Spät80er Popmusik der Ära Looking for Freedom, besticht Atomic Blonde als bescheidener kleiner Actioner mit kurzweiliger, kompetenter Brise Haudrauffun. Nur keine zu hohen Erwartungen setzen, denn mit dem großen Bruder John Wick ver-wickelt Blonde nicht allzu viel.
6 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

RENDERING
Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung