BG Kritik: „Spider-Man: Far From Home“

3. Juli 2019, Michael Essmann

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Die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft (Tom Holland) will nach seinem Trip ins Weltall, den Jahren als Staub, dem finalen Endgame Boss-Battle mit Thanos, sowie den hiermit einhergehenden Verlusten einfach nur mal durchatmen und einen dringend notwendigen Urlaub vom Heldendasein. Also mit den Klassenkameraden in den Flieger zur Klassenfahrt nach Europa gejettet, nur um alsbald und dank der Rekrutierung des international agierenden Nick Fury (Samuel L. Jackson) vor der Rettung seiner erweiterten Nachbarschaft zu stehen: der Erde.

Schwing! Spidey und MJ kommen sich näher…

© Sony Pictures Entertainment

Spider-Man: Far From Home (USA, 2019)
Regie: Jon Watts
Darsteller: Tom Holland, Zendaya Coleman, Jake Gyllenhaal, Samuel L. Jackson, Marisa Tomei, Jon Favreau

Der Abschluss-Film der Phase 3 des MCU startet ab dem 04. Juli 2019 in den deutschen Kinos.

Achtung: Diese BG-Kritik geht davon aus, dass „Avengers: Endgame“ bereits gesichtet und verarbeitet wurde. Nachfolgend also Spoiler aus dem letzten „Avengers“, aber nicht zu „Far From Home“.

„Never change a winning team“ oder „was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren“. Getreu dieser altbekannten Leitsätze kehrten für das nun startende Sequel zum 2017er „Spider-Man: Homecoming“ sowohl Regisseur Jon Watts, als auch das Autoren-Duo Chris McKenna und Erik Sommers sowie der überwiegende Hauptcast um Tom Holland, als auch Komponist Michael Giacchino in angestammten Positionen zurück. Das vertraute Team lässt den zweiten Solo-Film mit Spider-Man in der MCU-Version (und somit abermals die Kooperation mit Rechteinhaber Sony) die Pforten des Universums mit einem an Steven Spielbergs „Indiana Jones“ Reihe erinnernden, überblendenden Einstieg öffnen, und schließt diese nach gut 129 Minuten wieder mit einem sicherlich noch einige Zeit nachhallenden Knall. Begleitet von bereits aus dem Erstling vertrauten Worten. Und dazwischen? Dazu kommen wir dann im Weiteren. Aber danach, ja, das sei hier direkt erwähnt, da heißt es wie (fast) immer sitzen bleiben, denn die zwei(!) Abspannszenen liefern noch einiges. Hier ist mindestens für die recht zum Anfang der Credits laufende erste Szene das sitzenbleiben ein definitives MUSS!

Die Abspannszenen wären soweit und spoilerfrei geklärt, puh. Aber kann man darüber hinaus auch erneut überzeugen und abermals einen charmant-witzigen Superhelden-Streifen mit dem Herz am rechten Fleck und grandios harmonierenden Cast abliefern? Oder ist es nur mehr von Altbekannten, was die alten Bekannten abliefern? Glücklicherweise schließt das Eine das Andere ja nicht aus, und somit kann der „Spider-Man: Far From Home“ betitelte zweite Teil der neuen Spider-Man Reihe wieder in den positiven Punkten punkten, allerdings auch ohne jetzt allzu viel Neues zu liefern. Aber auch Altes kann ja grandios sein. Wie die Integration des klassischen Spider-Man-Themas in „Homecoming“. Und so bedient sich auch „Far From Home“ eines allzu bekannten, prägnanten und phantastischen Elementes aus einer früheren Interpretation, in neu. Und wieder ist dies einfach nur toll und wirkt wahnsinnig passend. Details müssen aber im Kino selbst erfahren werden. Aber um auch direkt einen „negativen“ Punkt abzufrühstücken, liefert man an musikalischer Front keine großen Neuerungen. Ein typischer Nachfolger eines Scores, voll mit Variationen von zuvor gehörtem dominiert die musikalische Untermalung. Während des Filmes bleibt dies stets funktionell und angenehm, ist aber auch wie beim Vorgänger bereits im Foyer des Kinos dabei, in Vergessenheit zu geraten.

Spider-Man, Spider-Man… auch in Europa

© Sony Pictures Entertainment

Unvergessen, die, die wir verloren haben. Iron Man und Black Widow sind tot, Vision ist nur noch Alt-Vibranium, Captain America ist Arthritis bedingt in Rente… große Stiefel sind auszufüllen, Erben sind anzutreten… man kann wohl behaupten, dem „Marvel Cinematic Universe“ und seinen Zuschauern bedarf es nach alldem zuvor serviertem, vor allem nach etwas Ruhe und Heiterkeit. Ja, schlicht einer Verschnaufpause. Nur eine ganz kleine. Und genau die liefert „Spider-Man: Far From Home“ auch in den ersten gut 30 Minuten, in welchen vordringlich allgemeine Teenager-Probleme, aufkeimende Gefühle und immense Reiseplanungen auf dem Programm stehen. Aber, ganz nebenbei rekapituliert man auch noch – durchaus clever und äußerst witzig – die Auswirkungen der großen Schnippser aus dem Avengers Doppel-Paket „Infinity War“ und „Endgame“ auf den Mikrokosmos Midtown High School, bevor es dann raus aus New York, und ins gute alte Europa geht. Und dort wartet auch bereits das Chaos, sozusagen nur noch auf die Ankunft unseres Helden.

Denn die Elementals sind los. Uralte, zerstörerische Elementarwesen aus äußerst aggressivem Wasser, Erde, Luft und Feuer – die doch recht deutlich an die klassischen Spider-Man Schurken Sand, Hydro- und Molten-Man, sowie an ein passendes Luft-Äquivalent zu ihnen – erinnern. Die sozusagen lebendigen Naturkatastrophen sind hierbei nett anzusehen, und sorgen für ordentlich Getöse auf der Leinwand. Das war es aber im Grunde auch schon. Sie sind unterm Strich echt nur nett anzusehende, aber inhalts- und charakterlose Computeranimationen mit ordentlich CPU gestützter Feuerkraft. Würde es hierbei bleiben, sähe es wahrhaft armselig aus auf der Schurkenseite. Aber natürlich steckt da noch mehr dahinter. Strippen und Fäden wollen ja schließlich gezogen werden. Logisch. Und auch an dieser Stelle keine Details dazu, so der Überraschung wegen und stattdessen zum zweiten Helden der Geschichte: Mysterio. Denn der Film setzt zunächst einmal auf die Ablenkungstaktik. So von der da noch schwachbrüstigen Schurkenseite. Daher muss Spidey hier abermals nicht gänzlich solo ran, denn wie ihm in „Homecoming“ der Iron Man (möge er in Frieden ruhen) zu Seite stand, so darf sich Comic-Fan und Freund hier mit Spider-Man über die helfenden Hände von MCU-Neuankömmling Mysterio (Jake Gyllenhall) freuen, welcher passenderweise auch bereits Erfahrungen mit den Wesen vorweisen kann. Und ohne zu viel zu verraten, Jake Gyllenhall händelt die durchaus diffizil zu händelnde Figur mehr als souverän und hat sichtlich Freude daran ihre unterschiedlichen Fassetten zu präsentieren. Und auch auf der technischen Seite kann der Mann mit der Käseglocke auf dem Kopf überzeugen. Wenn Mysterio völlig entfesselt loslegt, so sieht das wirklich beeindruckend aus, hat surreale Anklänge welche die Grenzen der Realität ausloten bis sprengen, und bei denen man schnell mal Oben und Unten aus den Augen verliert, ja, sich gar wie in einem Fieber- oder Alptraum wähnt. Toll, und so im MCU noch nicht gesehen oder an der Tagesordnung.

Der aktuelle Spider-Man und der frühere beinahe Spider-Man unter sich

© Sony Pictures Entertainment

Nicht nur die Action mit Mysterio, auch die davon abseitige funktioniert, ist trotz der teilweise schwindelerregenden Fahrten stets übersichtlich gestaltet und nicht zu hektisch geraten. Was den Film aber zusammenhält und klebt, ist nicht die Action, sondern die Figuren. Flash, Betty, Ned… und natürlich die sich in den letzten Minuten von „Homcoming“ als MJ geoutete Michelle (Zendaya Coleman und ja, sie hat tatsächlich einen Nachnamen). Letztere funktioniert nun gar, in einer nicht aufgesetzt wirkenden Version. Ihre MJ ist weiter ebenso cool und clever wie sarkastisch, aber anders als in „Homcoming“ wirkt es diesmal eben glaubhaft zum Charakter gehörig. Nun zum neuen Zielobjekt von Peters Teenager-Hormonen geworden, darf MJ auch mehr sein als eine holde Dame in Not, womit Zendayas MJ sichtlich zu den Highlights des Filmes gehört. Hier kann das Sequel tatsächlich stärker aufspielen. Verlierer ist hierbei aber etwas Ned (Jacob Batalon), der vom (selbsternannten) Mann im Stuhl in „Homecoming“ hier in „Far From Home“ eher an den Rand gegrenzt wurde. Ned bleibt nett, hat seine Momente und gar eine lustige und verdiente Geschichte innerhalb der Geschichte, aber damit hat es sich im Grunde auch. Und dann wäre dann natürlich noch der Held. Ein Held der nicht frei von (Selbst)Zweifeln ist, versucht heldenhaft zu handeln und hierbei ebenso über seine eigenen Träume und Wünsche wie über seine Unerfahrenheit im Umgang mit seinen Kräften stolpert. Aber eigentlich nur MJ seine Gefühle gestehen will. Tom Holland wächst weiter hervorragend in den Anzug, macht als Held und Junge nun nicht mehr so viel falsch wie in seinem Solo-Debüt, ist aber offensichtlich auch noch nicht ganz am Ziel seiner Reise. Körperlich, emotional und geistig. Wodurch beispielsweise nicht jede Entscheidung unseres (eigentlich ja hochintelligenten) Helden so richtig nachvollziehbar daherkommt und offensichtlich nur der Dramaturgie wegen hinzugefügt wurde, und nur mit ganz weit zugekniffenen Augen noch der Naivität der Jugend zugestanden werden könnte. Peter ist schließlich erst 16. Zu diesen als fragwürdig abstempelbaren Punkten gesellen sich dann noch kleine Längen, so im Mittelteil des Abenteuers Europa. Zehn Minuten weniger hätten womöglich förderlich sein können, aber auch die 129 Minuten wirken völlig legitim. Meckern auf hohem Niveau, mehr ist das kaum. Denn direkt danach geht es auch schon wieder mit 180 Sachen am Spinnenseil schwingend und dem finalen Part entgegen, und in dem dreht Spider-Man auch abseits von New York ordentlich auf, steckt ein, und sorgt allgemein und vor allem visuell für große Augen. Bis auf kleine Aussetzer sind die Effekte wieder einmal wirklich gelungen, und insgesamt ist „Far From Home“ so ca. so gut wie man es nach dem ersten Teil erhoffen durfte, aber eben auch kaum mehr als das. Mochte man den Vorgänger, gibt es keinen Grund diesen Teil im Kino zu ignorieren. An einigen Punkten stärker, an anderer Ecke leicht schwächer. Dabei manchmal herrlich selbstironisch, relativ tagesaktuell (#FakeNews), manchmal gar erstaunlich clever, und wie schon bei „Homecoming“ (Stichwort: Geduld), garniert mit einer der besten Szenen die man im MCU bisher um oder in einen Abspann positioniert hat. „Spider-Man: Far From Home“ gelingt es so unterm Strich überaus überzeugend, das dritte Kapitel des Universums abzuschließen, und zugleich die ersten Zeilen für das vierte Kapitel anzudeuten.

Fazit:
Spider-Man macht auch weit weg von Zuhause wieder eine Menge Spaß und sehr viel mehr richtig als falsch. Lediglich auf der schurkischen Seite etwas schwächer als Homecoming aufgestellt, überzeugt das neueste Abenteuer der Spinne vor allem mit Herz, Charme, treffsicherem und gerne situationsbedingtem Humor, sowie einer Menge Bombast und Action. Ein überwiegend sehr gelungener und ausbalancierter Mix aus Coming of Age/Teenager-Liebes-Geschichte und Superhelden-Story, präsentiert vor der im Genre eher unverbrauchten Kulisse bekannter europäischer Postkarten-Motive wie London, Venedig oder auch Berlin.
Weit mehr als nur der Epilog zu „Endgame“ und Spider-Man: Home Alone kann kommen!

7,5/10

Autor: Michael Essmann

Ein B-Movie Freund, der seit einigen Jahren in Köln heimisch ist und dort erfolgreich Design studiert hat. Seitdem schiebt er u.a. Pixel hin und her.

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