BG Kritik: „Dr. Strange“

15. November 2016, Christian Mester

Dr. Stephen Strange ist einer der berühmtesten, aber auch hochnäsigsten Fachchirugen New Yorks. Als er nach einem Autounfall nicht mehr länger praktizieren kann, reist er nach einem seltsamen Tipp ins mysteriöse Nepal. Dort findet er nicht unbedingt die Antworten, die er sucht, aber den Zugang zu Mächten jenseits unserer Realität…

(C) Marvel Studios

Dr Strange (US 2016)
Regisseur: Scott Derrickson
Cast: Benedict Cumberbatch, Tilda Swinton, Mads Mikkelsen

Die Karten auf den Tisch: mit Dr Strange macht der 14. Marvel Cinematic Universe Film prinzipiell alles richtig – für Fans und Casuals. Wer sich interessentechnisch irgendwo dazwischen einordnet, hat nach Ant-Man womöglich erneut zu seufzen. Im Grunde ist es der gleiche Fall.

Strange ist für Marvel kein neuer Ant-Man; er soll der neue Tony Stark sein, oder zumindest der neue Thor. Dass Benedict Cumberbatch Marvels Vorzeigezauberer im Schlaf spielen können wurde, war wohl klar, und wie zu erwarten macht der Brite eine ausgesprochen unterhaltsame Figur draus. Interessanterweise verleiht er dem auf dem Papier Tony Stark recht ähnlichen Arzt eine unverhofft leichte Note, lässt schnell ab von der Arroganz, wird sogar teil ein wenig albern. An Downeys Brillanz kommt er nicht heran, was aber schlicht daran liegen mag, dass Scott Derrickson (Sinister, Erlöse uns von dem Bösen, Der Tag an dem die Erde still stand Remake) der vermutlich schwächste Regisseur der bisherigen Marvel Filme ist. Jedes Mal, wenn es nicht gerade ins Effektgewitter geht – das durchaus von anderen geleitet worden sein kann – und er nicht auf das Charisma der Darsteller oder den Humor des Scripts zurückgreifen kann, schimmern kleine auffällige Schwächen durch, fallen Dialogszenen zu lang aus, sehen Kampfszenen fast generisch aus, lassen dramatischere Momente eher kalt. Cumberbatch spielt mit hochgekrempelten Ärmeln dagegen an und reißt den Film fast an sich, doch so ganz verschwinden wollen die Problemchen nicht.

(C) Marvel Studios

Das klingt hart, bildet aber nur eine kleine Falte im größeren roten Umhang des Films. Wieder liefert Marvel überaus solide Blockbusterunterhaltung. Der Film ist äußerst kurzweilig, wird immer wieder von witzigen Momenten aufgeheitert und erweitert das bestehende Marvel Cinematic Universe nach Ant-Mans Microversum um eine faszinierende neue Dimension. Ähnlich wie bei Inception dreht, transformiert und faltet sich die Welt vor Stranges Augen. Es wird an den Wänden hochgelaufen, es werden Durchgänge und Blockaden geschaffen wo keine sind, magische Fesseln gelegt und immer mal wieder mit der Faust zugelangt. Seine Seele verlässt nicht nur seinen Körper, er darf sich sogar in der Astralprojektion mit anderen prügeln. Darüber hinaus wird auf interessanten Weise mit der Zeit und den Gesetzen der Physik gespielt. Dafür, dass es ein Film über kämpfende Magier ist, unterscheidet er sich stilistisch schon sehr von anderem Zaubererzinober, wie etwa den Potter Filmen. So wie auch schon die Microkosmosausflüge Ant-Mans in 3D lohnten, ergeben die Weltenwechsel und –manipulationen beeindruckende und faszinierende Bilder.

Es ist eine konsequente Fortführung des langsamen Herantastens an kreativere Welten aus den Comics, nachdem sich Thor 2 und Guardians of the Galaxy schon langsam weiter ins All hinein getraut haben. Zukünftige Marvel Filme werden noch wesentlich ungewöhnlichere Aliens, seltsame Planeten und unvorstellbare Dimensionen zeigen können, und man wird Dr. Strange rückblickend als das wichtigste Bindeglied sehen, der Leuten, denen derartiges nach Iron Man oder generell zu unrealistisch und abgedreht gewesen wäre, passend daran herangeführt hat.

Fans dürfen sich auf eine passende Umsetzung der bekannten Figur und viele kleine neue MCU Erweiterungen freuen. Neben Strange, seinem lebenden Umhang und dem Auge von Agamotto gibt es einen weiteren Infinity Stein, jede Menge aus den Comics bekannte magische Gegenstände, einen Cameo eines Avengers Mitglieds, und lustigerweise spielt Benjamin Bratt, der im Catwoman Film Basketball spielte, hier auch mit, und ebenfalls Basketball.

(C) Marvel Studios

Weniger zu melden haben Rachel McAdams als Ärztin, Chiwetel Eijofor als Magier und Tilda Swinton als Lehrmeisterin, die in der wundersamen Cumberbatch Show bloß gelegentliche und funktionelle Randerscheinungen sind. Swinton, hier nahezu unkenntlich durch eine Glatze, schafft es als einzige, Cumberbatch einige Szenen zu stehlen, muss sich aber auch eingestehen, dass hier nur einer den Umhang umhat. Das betrifft leider auch die Bösewichte, die hier mit gleich drei verschiedenen Figuren unterwegs sind. Martial Arts Star Scott Adkins, der schon den Deadpool im ersten Wolverine gab, darf sich als wortloser Kämpfer mit dem Doktor prügeln. Sein Chef wird von einem der besten aktuellen Schauspieler gespielt: Mads Mikkelsen. Merkt man ihm hier nur nicht an, da sein Magier Kaecilius ebenfalls fast nichts zu sagen hat und bloß immer mal wieder auftaucht. Der letzte im Bunde ist Dormammu, ein weltenverschlingendes Überwesen, das als fliegendes Gesicht dargestellt wird und sich mit Green Lanterns Parallax wohl bestens verstehen würde. Dormammu ist noch simpler als die anderen zwei, wird aber witzig eingesetzt. Ironischerweise wird er zudem von Cumberbatch selbst gespielt, was thematisch hervorragend passt, da Dr. Stranges größter Gegner im Film er selbst und seine eigene Skepsis ist.

Abgesehen von besagten kleineren Längen ist Dr. Strange flott gezeichnet, voller abwechslungsreicher Action und mit einem zwar vorhersehbaren, aber soliden Ende. Stärker denn je hinterlässt Marvel jedoch das Gefühl, einer bestimmten Erfolgsformel zu folgen, doch kann man das ankreiden? Sie funktioniert ja, und was hier an neuen Bildern geboten wird und ausweitet, was die Magierin Scarlet Witch in Avengers und Civil War nur geringfügig einbrachte, ist überaus sehenswert und eine lohnende Ergänzung. Vielleicht sind es vereinzelte Erinnerungen an Matrix und Inception, die dafür sorgen, dass man tonal verwirrt wird. Vielen Anzeichen nach hätte Dr. Strange als ernsterer Film vermutlich sehr viel besser funktioniert. Marvel lässt das aber nicht zu, bricht emotionale Momente schnell ab oder versucht, sie mit einem Witz enden zu lassen. Das ist in Ordnung, doch so wie Dr. Strange andere Welten mit ungeahnten Möglichkeiten erblickt, hinterlässt auch der Film das Gefühl, dass man vielleicht nicht unbedingt so sehr auf Nummer Sicher hätte gehen müssen.

Fazit:
Strukturell relativ generisch und vorhersehbar, ist Dr. Strange größtenteils kurzweiliger, spektakulär ungewöhnlicher Magierspaß als Heldenfilm, der das Marvel Universum bemerkenswert erweitert und einen Charakter einführt, der tatsächlich zu einem der neuen Anführer werden könnte. Ein Film wie eine Illusionsshow: vielleicht nicht allzu denkwürdig, aber für den Moment ein amüsanter Spaß.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

RENDERING
Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung