BG Kritik: Once upon a time in Hollywood

21. August 2019, Christian Westhus


Hollywood 1969: Ein in die Jahre gekommener TV- und Filmstar für Westerns sieht das Ende seiner Karriere nahen, sein knorriger Stuntman und bester Kumpel trifft auf ein Hippie Mädchen, die Manson Familie wohnt auf einer alten Filmranch am Rande der Stadt und Regisseur Roman Polanski kehrt mit seiner Frau Sharon Tate zurück nach Los Angeles. Ein Portrait eines Ortes und einer ganz bestimmten Zeit.

(C) Sony Pictures

Originaltitel: Once upon a time in Hollywood
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie u.a.
Kinostart Deutschland: 15.08.2019

Kritik:
1969 war für die USA ein besonderes Jahr. Das Ende einer Ära und Beginn einer neuen. Die 60er gingen zu Ende, ein Jahrzehnt geprägt durch Vietnam, das Kennedy Attentat und die so genannten Bürgerrechtsbewegungen, die einerseits zum Wahlrecht für Schwarze (1965) führten, aber auch zur Ermordung Martin Luther Kings (1968). Die Amerikaner brachten 1969 den ersten Mann auf den Mond und boten damit im Weltraumwettrennen des Kalten Kriegs erstmalig die Sowjetunion aus. Die Nachkriegsgeneration der USA gehörte langsam zum alten Eisen, als die ersten Baby Boomer selbst erwachsen wurden, eigene Familien gründeten oder gegen den Vietnamkrieg protestierten. Die Hippie Bewegung war einerseits Peace, Free Love und Woodstock, aber in seiner pervertiert ausgebeuteten Form auch die Manson Familie, die – mehr noch als Richard Nixon, der 1969 seine kontroverse Amtszeit begann – zum Sinnbild eines neuen Amerikas wurden. Jedes Jahr, jeder Moment kann theoretisch das große und bedeutsame Ende einer Ära sein. Doch in der Geschichte der USA gibt es in der Nachkriegszeit, abgesehen vom 11. September, keinen derart mythologisch aufgeladenen „Moment“ wie das Jahr 1969.

Das scheint auch Quentin Tarantino (übrigens Jahrgang 1963) so zu sehen. Und natürlich verbindet der filmbesessene Regisseur seine Ära-Schau mit dem Kino, mit Hollywood. Cineastisch gesprochen war das Ende der 60er das Ende des klassischen Studiosystems und der Beginn des New Hollywood, welches Größen wie Scorsese, Spielberg und Coppola hervorbringen sollte. Doch darum geht es Tarantino nicht. Er präsentiert uns Leonardo DiCaprio als Rick Dalton, einem in die Jahre gekommenen Schauspieler, der mit einer Westernserie berühmt wurde und den Sprung auf die große Leinwand nicht gut genug geschafft hat, um heute noch ein großer Star mit Wiederkennungswert und Hauptrollengarantie zu sein. Tatsächlich wird Dalton vermehrt als Schurke gecastet. Und Filmproduzent Schwarz (Al Pacino) erklärt Dalton ganz genau, was das für die Karriere bedeuten kann. Der einst aufrechte Cowboy und Filmheld rutscht nicht nur in die zweite Reihe, sondern auch noch in die Position des Widersachers, des Bösen. Doch Dalton will nicht kampflos aufgeben – allerdings erst nachdem er sich bei Buddy Cliff ausgeheult hat.

(C) Sony Pictures

Natürlich ist Rick Dalton in gewisser Weise eine Art Amerika personifiziert. So etwas schwingt bei einer Cowboyfigur in der „Neuzeit“ immer mit, doch Tarantino bestärkt diesen Eindruck noch. So, wie Dalton bei der Lektüre eines Western Groschenromans kurzzeitig das Gefühl hat, in einen Spiegel zu schauen, soll – so die Vermutung – der (amerikanische) Zuschauer einer bestimmten Generation bei Rick Dalton selbst und beim gesamten Film ein ähnliches Erlebnis durchmachen. Doch das Fleisch gewordene Amerika ist ein Januskopf. Die andere Hälfte gehört Cliff Booth, seit Ewigkeiten Ricks Stuntman und bester Freund. Booth ist ein Typ Mann, ein Typ Kerl, der nicht viel spricht, der wirklich wenig sagt und dennoch irgendwie eine große Klappe hat. Booth hat Attitüde, ein gefährliches Maß an Charisma und als Stuntman körperlich ordentlich was auf dem Kasten. In einer frühen und großartig bedeutsamen Szene verlässt Booth Daltons Villa, steigt in sein eigenes Auto um, rast rasant über die nächtlichen Straßen von Los Angeles und betritt seine eigene Behausung, die auf vielfältige Art und Weise zeigt, dass Amerika zwei Gesichter hat. Dass Booth mit seinem Nachnamen an Lincoln-Attentäter John Wilkes Booth erinnert? Sicherlich nur Zufall. Doch warum sonst greift ein späterer Dialog genau diese Verwechslung auf?

Rick und Cliff sind enorm spannende Figuren und ihre Darsteller, beide bereits mit Tarantino-Erfahrung, sind herausragend gut. Für Pitt ist es die spannendste Rolle seit längerer Zeit. Geschickt reduziert er Cliffs gefährliches Potential, lässt seinen Charme spielen, in diesen aber eine zweideutige Dosis sarkastische Unberechenbarkeit einfließen. Finanziell zieht er gegenüber Rick klar den Kürzeren, weiß die Brotkrumen aber gut einzusetzen. Ob ihm das wirklich reicht, ist eine spannend unklar zu beantwortende Frage. Ricks Karriereangst ist zunächst ein Gegengewicht zu Cliffs hypermaskuliner Aggressivität. Es ist eine andere Art von Ego, eine andere Art von männlichem Stolz, die durch die neuen Rollenangebote und die Aussicht auf vermeintlich zweitklassige Italowestern ins Wanken gerät. Und DiCaprio, immer dann am besten, wenn auch seine Figuren schauspielern, wenn sie vorgeben etwas zu sein, ist grandios, wie er überlebensgroß an der Grenze zur Parodie vom Leder lassen darf. So gut, dass Tarantino seine eigene Vierte Wand zerschmettert, um über eine andere Figur ein großes Kompliment an DiCaprio zu übermitteln.

Ginge es nur um Rick und Cliff, um die Neuausrichtung der Karriere, um die Veränderung in ihrer Freundesbeziehung und wie sich um sie herum auch die Stadt und das Land verändert, „Once upon a time in Hollywood“ hätte ein neues Meisterwerk werden können. Das Script dieser Szenen und die Darsteller sind stark genug und Tarantino ist ein Regisseur mit herausragendem inszenatorischem Talent. Gekonnt schwankt er zwischen alten Filmclips, kurzen Flashbacks und seinen typisch ausgedehnten Spiel- und Dialogszenen, die sich langsam entfalten und häufig in irgendeiner Form eskalieren. Tarantinos technische Finesse (und seine Musikauswahl) ist ein Segen für jeden Kinogänger – daran kann auch der vom Filmemacher verachtete Standard der Digitalprojektion nichts ändern.
Doch seine Geschichte beschränkt sich eben nicht nur auf Rick und Cliff. Manchmal, so scheint es, verliert sich der Regisseur in seinen eigenen Ideen und seinem Wunsch zur nächsten Referenz und Anspielung. So spannend es noch ist, Ricks neues Projekt und die Idee neuer Filmangebote zu verfolgen, ist mit anderen Film-im-Film-Szenen irgendwann nicht mehr viel gewonnen. Man hat uns konditioniert, hinter jedem Realnamen, hinter jedem Filmtitel herzujagen, sie im Anschluss zu googeln, sollten sie unbekannt sein. Doch nur selten entsteht dabei Bedeutung. Ja, Trudi Fraser war eine reale Kinderdarstellerin. Mehr hat man davon allerdings nicht. Diese Elemente und Details könnten zum Gefühl von Ort und Zeit beitragen, könnten ein Ausdruck hoher Authentizität sein – in einem Film, dessen Macher berühmt dafür ist, dass die meisten seiner Filme in einer nur ähnlichen, aber nie ganz realen Version unserer Welt existieren. In der Quentin Tarantino Welt.

(C) Sony Pictures

Manche dieser Details nehmen zudem einen zu hohen Stellenwert ein, um nur Dekoration zu sein, um nur unterstützender Zusatz für die Haupthandlung sein zu wollen. Eines dieser Details heißt Bruce Lee, dessen wenig schmeichelhafter Auftritt für Empörung unter Angehörigen und Fans der Actionfilmlegende geführt hat. Ein anderes Detail heißt Sharon Tate. Gespielt von Margot Robbie sollte Sharon Tate den Erwartungen nach eigentlich die dritte Hauptrolle neben Rick und Cliff sein, ist ihr gleichermaßen berühmtes wie tragisches Schicksal doch mehrfach mit der Welt (und der Zeit) von „Once upon a time in Hollywood“ verknüpft. Es gibt eigentlich nur einen Grund, warum Tate und ihr Mann, Regisseur Roman Polanski, hier als Daltons Nachbarn gezeigt werden und warum wir ein paar Impressionen aus ihrem Privatleben erhalten. Doch Tarantino fällt quasi nichts zum berühmten und realen Hollywoodpaar ein. Polanski fällt irgendwann komplett raus, doch auch Tate, deren Interpretin als dritter großer Name neben Brad Pitt und Leonardo DiCaprio überall genannt wird, bleibt als Figur blass und unscheinbar. In einer Szene lässt das Script Tate in einer Buchhandlung einen gewissen Thomas Hardy Roman kaufen und der informierte Zuschauer weiß warum, nur um sich dann zu fragen, was das sollte. Tarantinos Tate ist eine junge und bildschöne Frau, noch am Beginn ihrer Schauspielkarriere, optimistisch und frei in ihrer Lebenslust und kurz darauf schwanger. Mehr nicht. So ist Tate womöglich auch eine Symbolfigur, nur leider eine, die als eigenständige Filmfigur nicht ansatzweise die Dimensionen besitzt wie Rick und Cliff.

Ähnlich ergeht es den Hippies und der Manson Familie. Das Drehbuch hat wenig Interesse an Entstehung, Ideologie und Funktion der sektenartigen Clique, belässt es bei ein paar klischeehaft plumpen Bemerkungen, wahlweise antiautoritär-ablehnend in Richtung Polizisten oder kess-sexgeil aus dem Mund einer sehr jungen Frau. Charles Manson selbst spricht kaum ein Wort, der Begriff Vietnam fällt gefühlt nur ein einziges Mal, Nixon und die Mondlandung werden gar nicht erwähnt und warum Tarantino für seinen langjährigen Kumpan Samuel L Jackson keine Rolle hatte, um den Stand der Dinge im Schwarzen Amerika zumindest irgendwie zu adressieren, ist kaum nachvollziehbar. In diesem 160 Minuten langen Film verbringen wir grob geschätzt eine Dreiviertelstunde entweder mit Sharon Tate oder der Manson Family, ohne wirkliche Einsicht zu erhalten, ohne Verständnis zu gewinnen. Und wenn Tarantino zum Finale dann die cineastischen Korken in für ihn gewohnter Manier knallen lässt, wenn er seinen letzten Kniff präsentiert und teils abartig brutale Gewaltszenen vorführt, wird ihm und seinem Film genau dieser Mangel ein wenig zum Verhängnis.

Fazit:
„Once upon a time in Hollywood“ hätte das Zeug zum Meisterwerk gehabt. Die Darsteller, die Inszenierung und weite Strecken des Scripts sind sensationell gut. Doch mit manchen Facetten seiner Geschichte und manch realpolitischen Umständen verhebt sich Tarantino leider.

8/10

Du hast den Film gesehen? Dann teile deine Meinung im Forum mit. Du willst im Detail über Spoiler, Easter Eggs und Interpretationen zum sprechen? Dann könnte dich das hier interessieren.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

RENDERING
Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung