Jahresrückblick 2018 – Christian Mester

5. Januar 2019, Christian Mester

Eigentlich wäre es ja mal an der Zeit, statt über die besten oder schlechtesten Filme des Jahres über die mittelmäßigsten zu schreiben, oder? Also über Titel wie

Skyscraper
Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen
Venom
Rampage
The Meg
Der Sex-Pakt
Pacific Rim 2: Uprising
Predator: Upgrade
Tomb Raider
Verschwörung

Aber was will man dazu schon groß sagen? Soll man immer noch anmerken, dass Dwayne Johnson aktuell noch immer das Charisma eines 90er Will Smiths hat, es aber in belanglosen Spezialeffekte-Blockbustern verschenkt? The Meg, Skyscraper, Venom und Rampage krankten alle unter der großen Globalisierungskrankheit, das möglichst alles relativ glatt, gefahrlos und zielgruppenpassend auszufallen hat, um ja niemanden zu verschrecken. Gerade Meg und Rampage ließen sich anmerken, viel zu famillienlieb aufgezogen zu sein, während Predator: Upgrade und Venom wenigstens einige herrlich absurd ungemütlichen Elemente hatten (Venom mit Brüsten? Ein Kackhaufen im Wind? Thomas Jane mit Tourette’s? Der Predator-Killeranzug?).

Anstatt aber sinnlos hin und her zu lästern, was denn alles mies war, könnte man auch hervorheben, wie spaßig die Monster- und Effektactionszenen in fast all diesen Filmen waren? Insbesondere Pacific Rim 2, der wie ein lebendig gewordener Spielzeugwerbespot wirkte. Alicia Vikander kletterte durch einen überraschend akkuraten Tomb Raider Film (Walton Goggins wird übrigens immer nerdiger, der war jetzt in Tomb Raider, Ant-Man 2, Predators, Machete Kills und in zwei Tarantinos), Claire Foy hielt Lisbeth Salander wacker am Leben und John Cena war sich in Der Sex-Pakt wahrlich für echt gar nichts zu schade, während Johnny Depp – wer hätte es nach all der Kritik um seine Person erwartet – das zweifellos beste am neuen Potterverse Film wurde.

Dementsprechend meine Top 10 des Jahres, in alphabetischer Reihenfolge:

A Star is Born
Ein Musikfilm mit Lady Gaga hatte eigentlich kein Recht dazu, so gut zu werden. Zumal es das xte Remake eines typischen Oscar-Grabbers ist. Tatsächlich ist Gaga aber ausgesprochen woah, und das nicht nur gesanglich, da sie es schafft, unter all ihrer Künstlichkeit überraschend viel Menschlichkeit zu finden und diese in ihre Rolle zu stecken. Als Multimillionärin hat sie eigentlich nichts mehr nötig und hätte die Rolle so hobbymäßig spielen können wie Trump Präsident ist, und auch Cooper hätte die Story als 0815 Bla-Romanze inszenieren können. Doch auch er steckt merklich Herzblut rein, und das Resultat ist eine der besten Romanzen des Jahres. Wenn sie nicht schon ein Star wär, könnt man glatt sagen, dass a Star born ist.

Avengers: Infinity War
10 Jahre Marvel, bereits der dritte Crossover-Teamfilm, und sie sind stärker denn je. Ein mitreißendes, effektgeladenes und sensationell actionreiches weiteres Finale, das der Konkurrenz mit einem Fingerschnippen zeigt, wie mans machen muss.

Der seidene Faden (Phantom Thread)
Daniel Day-Lewis edles Lebewohl ist ein Kunststück darin zu beweisen, wie faszinierend die eigentlich gänzlich langweilig klingende Geschichte eines irritierenden, extrovertierten Schneiders ausfallen kann. Ein Film, der von seiner Regie- und Darstellkunst lebt, und wenn es so gut ist wie an diesem Webstuhl, dann ist jegliches Setting denkbar.

Hereditary: Das Vermächtnis
Der beste Horrorfilm des Jahres ist ein äußerst unbequemes, happiges Stück Familiendramatik mit wenigen gewöhnlichen Schrecken – und für Erwarter typischen Horrors garantiert niemandem zu empfehlen. Als Slow-Burn-Albtraum brennt sich Hereditary langsam und unnachgiebig ins Gedächtnis, und schlägt im Ergebnis wie ein übersehenes Sraßenschild ein. Mit der zweifellos besten Darstellerin des Jahres, Toni Collette.

Jurassic World: Das gefallene Königreich
Der fünfte Jurassic Park hat zahlreiche Momente, die den Sinn vieler Entscheidungen im Film hinterfragen lässt doch JA Bayona zeigt, dass man ihm die Schlüssel zum Park verdienterweise übergeben hat. Der Film hat trotz seiner Dümmlichkeiten die emotionalste Szene seit dem ersten, fraglos ohne Ende Spektakel, viele coole Sauriermomente, Mut zu neuen Szenarien (Dino Crisis!) und tolles Dinofeeling. So dumm und brauchbar, wie Jurassic Park 3 sein wollte.

Mission Impossible: Fallout
Tom Cruise liefert also was Neues, und mal wieder was Sensationelles. 22 Jahre nach dem ersten Teil ist die Mission Impossible Reihe noch immer kein Stück weit eingerostet oder in die Jahre gekommen. Zwar gibts kein Limp Bizkit mehr und keine Klettereien mehr auf Hochgeschwindig-keitszügen, dafür lernte Cruise mal eben (!) selbst (!), einen Hubschrauber zu fliegen und flog diesen für die Actionszenen des Films selbst (!). Henry Cavills bester Film seit Man of Steel.

Searching
Dieser originelle Desktop-Thriller hat das Screenshotkino längst nicht erfunden, macht’s aber eleganter und erwachsener als beispielsweise Unknown User 1+2. Clever, wie hier mit Social Media und allgemein, dem Internetalltag umgegangen wird, um eine junge Frau zu suchen.

The Disaster Artist
Der vermutlich lustigste Film des Jahres ist es eigentlich nur, wenn man zuvor noch den Trashklassiker The Room von Tommy Wiseau und Greg Sestero gesehen und The Disaster Artist, das gleichnamige Hintergrundbuch von Sestero, gelesen hat. James Franco schafft es nicht nur vorzuglich, den Wahnsinn dieses Irrsinnsprojekt zu beleuchten und sich darüber lustig zu machen, er trifft sogar zugleich die seltsam herzliche Freundschaft der zwei skurrilen Typen, und setzt ihr seinen ganz eigenen Franco-Stempel auf.

The Night Comes for Us (Netflix)
Im Stil von The Raid 1+2 inszeniert, erzählt es die Story eines Mitglieds eines gewaltigen Kartells, das aussteigen will, als ein unschuldiges Kind sterben soll. Prompt schickt man ihm nach bester Videogame-Manier die besten Leute samt all ihrer Schergen auf den Leib, die es dann wie Schnitzel weichzukloppen gilt. Die ersten 20-30 Minuten sind noch relativ schnödes Palaver, aber dann geht es so sehr ab wie es kaum je abgegangen ist. Der vermutlich treueste Nachfahre von John Woos Hard Boiled lässt Pistolen und Gewehre größtenteils im Schrank zurück, und zelebriert stattdessen Fäuste und Messer, als wär Sommerschlussverkauf bei Blut- und Organspende. Ein Film, der die John Wick Filme alt und grazil aussehen lässt, schon allein, weil hier keinen Hehl draus gemacht wird, was physische Einwirkungen von stumpfen und spitzen Gegenständen alles so ausmachen können. Ein herbes, schockierendes Ding, das aber auch packt und fesselt.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Ein Film, der langweiliges Default-Oscarkino hätte sein können, wird von sensationell aufgelegten Darstellern zu was Höherem katapultiert. Ein teils hässlicher, sperriger Film, der den Widerstand gegen Ungerechtigkeiten feiert… bis es eventuell zu weit geht.

Sonst noch sehenswert waren:
Greatest Showman, BlacKkKlansman, Insidious 4: The Last Key, Black Panther, Roma, Game Night, Molly’s Game, Love Simon, Meg, Roman J. Israel, Deadpool 2, Solo: A Star Wars Story, The Equalizer 2, Ant-Man and the Wasp, Der Hauptmann, Sicario 2, Mogli: Legende des Dschungels, Ready Player One, The Florida Project, I Tonya, Peter Hase, Halloween 2018, Mortal Engines: Krieg der Städte, The Death of Stalin, Leave no Trace, Call Me By Your Name, The Shape of Water, Annihilation (Netflix), Wind River und The Ritual (Netflix), außerdem Lady Bird und Nur ein kleiner Gefallen, sowie Mandy

Zum Zeitpunkt des Artikels noch nicht gesehen, aber womöglich sehenswert:
Spider-Man: A New Universe, Bumblebee, Aquaman, Score – Eine Geschichte der Filmmusik, Abgeschnitten, Werk ohne Autor, Cold War, Suspiria, Shoplifters, Der verlorene Sohn, Your Name, Bohemian Rhapsody, Die Unglaublichen 2, Hotel Transsilvanien 3, Isle of Dogs – Ataris Reise, Tully, Operation Overlord

Generell sollten wir uns für das nächste Jahr vornehmen, positiver über Filme zu sprechen.

Dementsprechend
meine Flop 10 des Jahres, in irgendeiner Reihenfolge:

Blumhouse präsentiert: Wahrheit oder Pflicht
Schon weil der Film „Blumhouse präsentiert“ IM offiziellen Filmtitel mit drin hat, gehört der in diese Liste. Aber er verdient es sich auch sonst, mit seiner völlig blödsinnigabsurdidiotischen Handlung über ein tödliches Wahrheit oder Pflicht Spiel, das irgendwie von Geistern/Dämonen besessen ist und unnachvollziehbar Gründe sucht, Leuten per CGI seltsame Kamerafilter-Grinsebacken zu geben.

Death Wish: Ein Mann sieht Rot
Bruce Willis als neuer Charles Bronson, in einem Film von Hostel Regisseur Eli Roth? Klingt gar nicht mal schlecht, doch im Vergleich zu Denzel Washingtons The Equalizer 2 wirkt Willis leider völlig desinteressiert, was auch an der mickrigen Action liegen mag. Es ist ja nun echt nicht so, als wären die alten Death Wishes gute Filme gewesen – es sind stumpfe Selbstjustizverherrlichungen – aber die waren teils zumindest trashig unterhaltsam. Death Wish 2018 wollte cool sein, wars nicht.

Downsizing
Was eine grandiose Bevölkerungswachstumssatire hätte sein können, ein Ant-Man in ernst, verkommt zu einem belanglosen, banalen Mix aus Romanze und Aktivistenerzählung.

Fifty Shades Freed: Befreite Lust
Der letzte Teil der pseudokinky Lovestory (3 Mio Besucher in Deutschland, dritterfolgreichster Film des Jahres) ist wie auch schon der zweite ein völliges Nichts an blamabler Soapdramatik. Natürlich fällt es leicht über die Verfilmung der Hausfrauenfantasie zu meckern, aber man darf längst nicht vergessen, dass der erste Teil mit Dakota Johnson ein sehenswerter Film mit absolut korrektem Ende ist, und dazu mit einem lohnenden Soundtrack daher kam.

Hotdog
Til Schweiger und Matthias Schweighöfer werden oft zu Unrecht als peinlichst höchstalbern bezeichnet, können sie doch sowohl amüsant knuffig (Schlussmacher) wie auch annehmend brauchbar (die Schweiger Tatorte) aber in dieser lieblosen Actionkomödie trollen sie gar so sehr, dass es wie eine verlorene Wette ausschaut.

Godzilla 2: Eine Stadt am Rande der Schlacht (Netflix)
Schon der erste von den Anime-Godzillas kam mit einem gewöhnungsbedürftigen Grafikstil und ungewöhnlichen Ideen daher, doch konnte als Unikat noch überzeugen. Die Fortsetzung indes zerstampfte sämtliche Ansätze und wurd zu belanglosem Lärmgehibbel, bei dem jemand auf die Idee kam, Mechagodzilla in eine immobile Stadt zu verwandeln. Wer wollte das sehen?

Johnny English: Man lebt nur dreimal
Rowan Atkinson hat mal gesagt, dass er Mr Bean im Alter nicht mehr spielen wíll, da das Comedytiming irgendwann vergeht und aus brilliantem Slapstick ganz schnell müdes Gehampel wird. Jetzt könnte man dem miserablen neuen Johnny English genau das anlasten, doch Fakt ist, dass alle drei Filme der Reihe unguckbarer Schrott sind. Immerhin war er dann konsequent, oder seine Zielgruppe war insgeheim stets Omas auf Kaffeefahrt. Die dürften ihn spritzig finden.

Mile 22
Peter Berg und Mark Wahlberg sind eigentlich Synonyme für zumindest handwerklich ganz okaye Filme (Boston, Operation Kingdom, Hancock, Welcome to the Jungle, 2 Guns, Daddy’s Home, Contraband), an die sich nicht unbedingt jeder erinnert, die aber unter Umständen durchaus mal gut ausfallen (Lone Survivor, Deepwater Horizon, The Fighter, Departed). Mile 22 hingegen ist gar nichts. Durchweg vermieste Wackelkamera-Action, die wie ein Liebesbrief an die Eröffnungsszene aus Ein Quantum Trost erscheint, ideenlos inszenierter Quark und von Wahlberg so gelangweilt gespielt, dass man mit ihm lieber Sequels zu The Gambler und The Lovely Bones sehen wollen würde.

Red Sparrow
Jennifer Lawrence als zur Sexagentin gezwungene Russin, die sich in einem Spionagefall gegen ihr System richtet? Klingt fesselnd, zumal sie sich schon mal unterhaltsam gegen ein totalitäres System erheben konnte, doch leider gähnt sich eine unbekleidete, aber völlig unterforderte Lawrence durch ein marodes, dröges Drehbuch. Hätte sie doch besser Joy fortgesetzt.

The Cloverfield Paradox (Netflix)
War das eine angenehme Überraschung, das von heut auf morgen plötzlich ein neuer Cloverfield auf Netflix zu finden war. War das vielleicht eine unangenehme Überraschung, festzustellen, dass es ein billiger, völlig verkorkster Möchtegern-Event Horizon war.

Sonstiger weiterer Text

Der merkwürdigste Filmtitel des Jahres ist sicherlich „Your Name. – Gestern, heute und für immer“ des gefeierten Animes. Der schafft es, Punkt, Leerzeichen und Strich hintereinander zu zelebrieren.

Den langweiligsten Filmtitel des Jahres verbrach „Deadpool 2“. Denn wirklich, Reynolds, wirklich? Wenn ein einziger Film des Jahres für einen lustigen, einfallsreichen Titel prädestiniert war, dann ja wohl dieser….

Den einfallsreichsten Filmtitel des Jahres hat indes fraglos „Halloween“, der die 40jährige Fortsetzung von „Halloween“ ist….

Zum Thema seltsame neue Filmtitel für den deutschen Markt:
Wenn ein englischer Filmtitel für den deutschen Markt zu nichtssagend ist, kann mal fraglos ein neuer ausgewählt werden. Seltsam ist aber der Trend, für englische Filmtitel andere englische Titel zu finden. Beispiele:

Life of the Party – diese Melissa McCarthy Komödie wurde zu „How to Party with Mom“
The Spy Who Dumped Me – diese Mila Kunis Agentenkomödie wurde zu „Bad Spies“ (weil Kunis vorher den Zuschauerhit Bad Moms hatte)
Tag – die Fangen-Verfilmung mit Hawkeye wurde zu „Catch Me“

Weitere amüsante Filmtitel des Jahres 2018 (alle diese Filme liefen wahrhaftig im Kino):
Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?
Rückenwind von vorn
Don’t worry, weglaufen geht nicht
Verpiss dich, Schneewittchen
Papa Moll und die Entführung des fliegenden Hundes
Warum Siegfried Teitelbaum sterben musste
Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon
Meine Eltern sind irgendwie anders
Fly, Rocket Fly! – Mit Macheten zu den Sternen
Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot
Blanka (keine Street Fighter Verfilmung)
Mein Name ist Somebody: Zwei Fäuste kehren zurück
Aus einem Jahr der Nichtereignisse

Beste Kessensägenduellierung des Jahres: Nic Cage, Mandy

Beste Toilettenszene des Jahres: Nic Cage, Mandy

Bestes Comeback: Aquaman wird mehr als eine Milliarde einspielen. Wer hätte das nach Batman v Superman: Dawn of Justice und Justice League noch erwartet? WIR; weil wir wussten, dass James Wan ein hervorragender Filmemacher ist.

Bester Nebencharakter, der einen besseren Film verdient gehabt hätte:
Shrike, Mortal Engines

Beste Musikszene: Bradley Cooper holt Gaga für „Shallow“ auf die Bühne

Beste Darsteller:
Daniel Day-Lewis, Der seidene Faden
Denzel Washington, Roman J Israel
Frances McDormand, Three Billboards Outside Ebbing, Missourii
Jessica Chastain, Molly’s Game
Lady Gaga, A Star is Born
Nicolas Cage, Mandy
Ryan Gosling, Aufbruch zum Mond
Saoirse Ronan, Lady Bird
Toni Collette, Hereditary <- und sie war die eindrucksvollste von allen
Vicky Krieps, Der seidene Faden
Viola Davis, Widows

Unterhaltsamste Darsteller:
Hugh Jackman, Greatest Showman
James Franco, The Disaster Artist
Jason Momoa, Aquaman
Johnny Depp, Phantastische Tierwesen 2
Josh Brolin, Deadpool 2
Nicolas Cage, Mandy
Ryan Reynolds, Deadpool 2
Tom Cruise, Mission Impossible Fallout
Tom Hardy, Venom

Special Mention für die vermutlich größte Leistung:
Tommy Wiseau, The Disaster Artist

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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